Eine Nachbarin hier hat früher immer einen absolut zornigen Parkwächter gespielt und alles und jeden übel heftig explosiv angekackt, wenn man nur einen Millimeter zu weit hinten auf dem Parkplatz stand. Alle Nachbarn, meine Freunde und ich waren ultimativ genervt von ihr und fanden sie extrem befremdlich. Manche von uns haben sie ausgelacht, manche ignoriert, manche haben ihren Befehlen Folge geleistet, sind dann reingegangen und haben sich gedacht: Was geht denn bei der ab?
Manche haben zurückgefaucht – das ging für diejenigen immer schief – und so weiter.
Bis diese Nachbarsfrau vor einigen Jahren plötzlich wie ausgetauscht war. Sie war die Güte in Person: harmonisch, friedlich. Wenn man überhaupt mal etwas von ihr gehört hat, dann war sie voll aktiv am Durchstarten – voll der healthy lifestyle etc.
Irgendwann hat sie immer mehr angefangen, mich abzufangen und Small Talk anzufangen. Dabei erzählte sie mir einmal, dass sie so ein komplett anderer Mensch geworden sei, weil sie gesundheitliche Probleme hatte – richtige, lebensbedrohliche Herzprobleme. Durch diese ganzen medizinischen Behandlungen habe sie eine ganz andere Sichtweise auf das Leben bekommen.
Seit Jahren ist die Parksituation hier abnormal elendig.
Ich wünsche mir diese zornige, patrouillefahrende, militärische Drill-Sergeant-mäßig-schreiende, pavlovartig konditionierte, sich fast vom Balkon schmeißend, um den Leuten schneller eine gleich aufs Maul hauen zu könnende alte Frau zurück, immer wenn ich von irgendwelchen Sprintern eingeparkt bin oder jemand aus Buxtehude auf meinem gemieteten und entsprechend gekennzeichneten Parkplatz steht oder ihn so heftig eingeparkt hat, dass ich draußen auf der Straße parken muss.
Und ich glaube, das ist ihre Rache an uns Nachbarn. Dafür, dass wir sie damals nie ernst genommen und genervt auf sie reagiert haben.
Diese Frau war schon immer viel schlauer, als sie rüberkam. Aber sie kam eben nicht schlau rüber, weil sie immer so emotional am Durchdrehen war. Doch wäre sie nicht so emotional gewesen, hätte niemand auf sie gehört. Wir haben sie zwar nicht ernst genommen, aber wir haben auf sie gehört – einfach aus Angst und weil es ihr anscheinend sehr viel wichtiger war.
Aber wer Recht hat, der darf emotional werden.
Nur eben nicht, wenn er sich gesundheitlich dadurch schadet. Und dass sie noch am Leben ist, das ist es mir wert, keinen gratis Parkwächter mehr zu haben.
Ich habe eine heftig krass genetisch bedingte Bluthochdruckproblem-Garantie für mein hohes Alter vorprogrammiert.
Scheiß auf diese ganze Psycho-Kacke.
Ich will mich nicht mehr aufregen. Einfach nur wegen meiner echten, potenziellen gesundheitlichen Probleme.
Ich muss mich selbstständig machen. Einfach nur für meine Nachbarin. Sie fragt mich tausendmal im Jahr, ob es dieses Mal endlich wirklich eine gute Arbeitsstelle sei. Wenn ich arbeitslos bin, muss ich ihr das auch sofort berichten und durch die Nachbarschaft grölend auf ihren Balkon zurufen. Wenn ich krankgeschrieben bin, fragt sie mich jedes Mal, wenn wir uns sehen, ob ich bald wieder fit bin.
Ich mache das hier nicht für meine Freunde. Nicht für meine Familie. Das, was jetzt hier folgt wird weder für euch, noch für die, noch für dich, noch für Sie, noch für H******, noch für G****, noch für mich gemacht.
Das hier
ist
Für Berta.
Ich habe jetzt aufgeräumt, abgestaubt, gesaugt, gewischt, Fenster geputzt und Müll rausgebracht, bin zur Tankstelle gelaufen und habe mir komplett verschwitzt riesige Flaschen mit etwas Erfrischendem zu trinken gekauft.
Alles nur, um Berta zu signalisieren, dass sie nicht mehr länger mitansehen muss, wie mein Leben den Bach runtergeht.
Ich meine es halb lustig und absurd, aber auch zu 85 % ernst. Und es tut gut, mir vorzustellen, wie sie sich für mich freut und erleichtert ist.
Es wäre auch nicht das erste Mal, dass sie so etwas bezeugt. Und eben weil sie ganz genau weiß, zu was ich fähig bin, hat sie die Hoffnung und den Glauben an mich nie verloren.
Die Beobachtungen über das Leben und Wohlbefinden anderer sind durch einen Nachbarn am realistischsten. Denen kann man nichts vormachen. Und sie haben genau die richtige Distanz, um realistische Eindrücke zu gewinnen. Es ist so, als ob ich längst in einer Klinik wäre und meine Nachbarn sind die Pfleger. Deren Meinung zählt. Der Ton im vorbeigehenden Hallo, wie regelmäßig man den Müll rausbringt, ob das Auto noch instand gehalten wird – das können nur Nachbarn bezeugen. Und ich lasse die nicht hängen. Mein Hausmeister hat mich mal angebettelt, bitte niemals hier wegzuziehen, weil ich so ruhig sei, nie auffalle und keine Faxen mache – ich sei die perfekte Mieterin.
Und für meinen Hausmeister lasse ich es nicht zu, in den Maßregelvollzug zu müssen.
Ich war nie allein.